Interview und Lesung mit Carsten Schermuly

Was ist New Work? Dank der Homeoffice-Revolution ist die Zukunft der Arbeit in aller Munde. New Work ist der Traum des selbstbestimmten Arbeitens. Was digitale Nomaden bereits vor der Pandemie verkörperten, war bislang für viele unerreichbar.
Dabei träumen solche mit festem Arbeitsplatz nicht unbedingt vom Videocall aus Bali, sondern wünschen sich ein wirklich gleichberechtigtes Mitspracherecht. Nicht nur angestellt sein, sondern Handlungsfreiheit besitzen. Die Macht, etwas zu bewegen.
Was ist New Work – und was nicht?
Um die Bedürfnisse nach Selbstständigkeit, Freiheit und Teilhabe an Gemeinschaft abzudecken, werben Karriereseiten gerne mit flachen Hierarchien und einem herzlichen Zugehörigkeitsgefühl. Dein Team, deine Familie. Mitarbeitende sind neben der Kundschaft meistens die höchste Priorität für Unternehmen – so weit nichts Neues.
”Produktivität durch Motivation”, “Mitarbeitende sind das Herz unserer Firma”, “Euer Feedback ist uns wichtig”, aber auch: “Wer im Home Office sitzt, wird abgelenkt und leistet weniger”.
Was ist dran an diesen Floskeln? Sind es nur weitergeleitete Phrasen oder gibt es wissenschaftliche Belege für diese Aussagen?
SRH-Studiengangsleiter Prof. Dr. Carsten C. Schermuly beantwortet uns diese Fragen im Interview. Als Seltenheit in der deutschen Personalforschung hat er zum Thema Empowerment und New Work habilitiert und mehrere Bücher darüber geschrieben.
2021 wurde er in die Gruppe der 40 führenden HR-Köpfe in Deutschland gewählt, sein neues Buch “New Work Utopia: Die Zukunftsvision einer besseren Arbeitswelt” erschien im April 2022. Er liest uns im Anschluss an das Interview einige Kapitel daraus vor – die Videos findet ihr weiter unten auf dieser Seite.
Doch zunächst: Warum reden eigentlich plötzlich alle von New Work?
Megatrend New Work – Ein postpandemischer Kulturwandel
Im Jahr 2020 bricht ein Virus über die Welt hinein. Neben der Tragik überfüllter Krankenhäuser und Todesfälle bedeutet es für Angestellte vor allem Entlassungswellen, Jogginghosen, Kinder in Zoom-Calls.
Kein Ende in Sicht. Wer der beängstigenden Ungewissheit nicht erliegen will, deutet dieses Gefühl einfach um: Könnte diese monströse Veränderung auch eine berufliche Neuorientierung darstellen? Wie möchte ich eigentlich leben und arbeiten?
Tatsächlich haben modernste Firmen wie Hubspot oder Google längst den Wert der Selbstbestimmung erkannt. Hubspot etwa wirbt mit unbegrenzten Urlaubstagen für Mitarbeitende, während Google spezielle Kabinen für kreative Nickerchen anbietet und mit flexibler Anwesenheitspflicht auf die Schlafenszeit einzelner Personen eingeht.
Das bedeutet natürlich, dass nicht alle Mitarbeitenden gleichzeitig “on” sind. Zeitmanagement und Projektplanung sind unter diesen Umständen schwer vorstellbar. Eulen und Lerchen an einem Arbeitsort, wie ist das möglich?
Nur indem Firmen ihre Strategie auf psychologisches Empowerment ausrichten, sagt Prof. Carsten Schermuly, Studiengangsleiter für unseren MBA Business-Coaching und New-Work-Organisationsentwicklung. Er meint damit einen Fokus auf die Betroffenen, die in den jeweiligen Strukturen arbeiten. Hierarchie gerne, aber gleichzeitig Führung, die das Erleben von Kompetenz, Bedeutsamkeit, Selbstbestimmung und Einfluss ermöglicht.
Ein solcher Kulturwandel ist aufwendig, kann sich aber durchaus lohnen. Googles psychologischer Empowerment-Strategie liegt weniger warme Einfühlsamkeit zugrunde als knallharter Profit: Ausgeschlafene Mitarbeitende bescheren dem Unternehmen deutlich mehr Geld als zufallende Augen.

Psychologisches Empowerment setzt sich aus vier Wahrnehmungen der Arbeitsrolle zusammen: aus dem Erleben von Bedeutsamkeit, Selbstbestimmung, Kompetenz und Einfluss während der Arbeit.
Auch für Hubspot hat es sich ausgezahlt, die Selbstbestimmung ihrer Mitarbeitenden ergebnisoffen zu priorisieren: Seitdem ein endloser Urlaub möglich ist, nutzen die Hubspotler sogar freiwillig weniger Tage, als ihnen eigentlich zusteht.
Bedeutet New Work also einfach mehr Flexibilität bei der Wahl von Arbeitszeit und -ort? Für Carsten Schermuly sind diese Zugeständnisse nur ein Bruchteil von New Work.
In seinem Buch “New Work Utopia – Die Zukunftsvision einer besseren Arbeitswelt” listet er insgesamt 22 Grundprinzipien, sogenannte Axiome, die für ein ideales Zusammenspiel zwischen Unternehmen und Angestellten sorgen sollen.
Die Maßnahmen reichen von gänzlicher Neuorientierung – die Firma dient den Mitarbeitenden, nicht andersherum – bis hin zu Software-Tools zur sinnhaften Aufteilung der täglichen Arbeitszeit.
Im Mittelpunkt steht immer das Empfinden der Belegschaft, nicht die Leistung oder ein Druck von oben. Teams werden kompromisslos gefördert und mit radikaler Transparenz über die strategischen und finanziellen Entscheidungen von der Leitungsebene gefüttert.
Fantastische Utopie oder ein Handbuch für die Zukunft der Arbeit? Wir haben mit Carsten Schermuly darüber gesprochen.
Im Gespräch mit Carsten C. Schermuly
Transcript
Prof. Dr. rer. nat. habil. Carsten C. Schermuly, Diplom-Psychologe. Er sieht jünger aus als das klingt, ist Vizepräsident für Forschung und Transfer hier an der SRH Berlin University of Applied Sciences sowie Direktor des bei uns angesiedelten Institute for New Work and Coaching und der Studiengangsleiter unseres neuen MBA für Business-Coaching und New-Work-Organisationsentwicklung.
Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Konsequenzen von Diversität in Arbeitsteams, die Qualität von Personalauswahl- und Personalentwicklungsmaßnahmen sowie die psychologische Perspektive auf das Thema New Work (psychologisches Empowerment).
Als Seltenheit in der deutschen Personalforschung hat er zum Thema Empowerment und New Work habilitiert.
Für seine Forschung wurde er mit dem Erdinger Coachingpreis, dem Deutschen Coaching-Preis des DBVC sowie mit Preisen der Harvard Business School (2017) sowie der Henley Business School (2020) ausgezeichnet.
Seit über zehn Jahren ist er zusätzlich als Trainer und Organisationsberater tätig. Seine praktischen Tätigkeiten orientieren sich an seinen wissenschaftlichen Schwerpunkten.
Er ist ehemaliger Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes und wissenschaftlicher Beirat z. B. beim Dachverband der deutschen Führungskräfteverbände (ULA) und der Zeitschrift Organisationsberatung, Supervision, Coaching.
2021 wurde er in die Gruppe der 40 führenden HR-Köpfe in Deutschland gewählt, und im April 2022 hat er sein mittlerweile viertes Buch veröffentlicht: New Work Utopia: Die Zukunftsvision einer besseren Arbeitswelt.
Durch die Rückkehr ins Büro nach dem pandemiebedingten Homeoffice ist eine neue Art zu arbeiten weltweit zum hot topic geworden und deshalb freue ich mich, ihn heute begrüßen zu dürfen.
Herzlich willkommen, Carsten Schermuly!
Vielen Dank für die Einladung!
New Work Utopia. Brechen wir mal das in zwei Teile: Was verstehst du unter New Work?
New Work ist ein großer Begriff, teilweise ein Containerbegriff, wo viele das reinwerfen, was sie dann noch später finden möchten. Wir führen deswegen jedes Jahr eine Befragung durch, zusammen auch mit dem Personalmagazin, das Arbeitsministerium ist dabei, und da erfragen wir auch immer: Welche Verständnisse von New Work sind momentan aktuell?
Und da ist auch ein Verständnis dabei, was ich sehr präferiere: Das ist das Verständnis, dass es sich bei New Work um Maßnahmen handelt, die vor allem das psychologische Empowerment von Mitarbeitenden stärken.
Dieses psychologische Empowerment setzt sich zusammen aus vier Wahrnehmungen der Arbeitsrolle: aus dem Erleben von Bedeutsamkeit während der Arbeit, dem Erleben von Selbstbestimmung während der Arbeit, dem Erleben von Kompetenz und dem Erleben von Einfluss während der Arbeit.
Das sind so diese vier Facetten von psychologischem Empowerment, und ich glaube, dass Empowerment sehr wirksam ist. Das können wir auch in Studien zeigen. Das sollte deswegen auch die Zielsetzung von New Work sein, dass man dieses Empowerment im Leben der Mitarbeitenden stärkt.
Ja, ich glaube, das können viele nachvollziehen und würden sich darüber sehr freuen. Was verstehst du denn dann unter Utopie, also ist das wirklich so eine utopische Vorstellung? Was bedeutet Utopie, und warum hast du diese Form für dein Buch gewählt?
Die Utopie ist tatsächlich etwas, was mittlerweile als Begriff hast diskreditiert wird. Man sagt: “Oh, mein Gott, das ist ja utopisch, das unrealistisch, das geht ja nicht”, und ich habe da ein bisschen eine andere Position.
Das ist auch für mich ein ganz neues Sujet gewesen, weil ich mich halt normalerweise als Wissenschaftler hinter Daten und Fakten irgendwie verstecke, und jetzt habe ich hier mit einer Utopie mal ein Gedankenexperiment gewagt.
Angelehnt an Thomas Morus, also der ersten Utopie, die geschrieben wurde in 1516, habe ich versucht, eine neue Gesellschaft, eine Mikrogesellschaft in einem Unternehmen zu beschreiben. So wie Thomas Morus damals versucht hat, eine neue Gesellschaft zu entwerfen, war es für mich das Ziel: “Okay, wie kann man vielleicht auch Arbeit anders denken, anders organisieren, wenn mal die Grundprämissen andere sind.”
Unsere Grundprämissen sind immer noch, dass wir in sehr hierarchischen Organisation arbeiten, die eigentlich vor 200 Jahren entstanden sind – vor 200 Jahren, wo Militärs, also preußische Generäle, britische Generäle, Pate gestanden haben für die Art und Weise, wie wir Arbeit organisieren, und ich habe versucht, das tatsächlich mal anders zu denken.
Wenn wir tatsächlich andere Väter und Mütter von Arbeit hätten und keine Generäle, was würde dabei rauskommen? Und natürlich ist Utopie auch ein Stück weit Kritik. Utopie versucht auch ein bisschen die Gegenwart zu kritisieren, und da kritisiere ein bisschen zum einen, wie reduziert mittlerweile das Verständnis von New Work ist, dass viele Leute das einfach mit Homeoffice, mit mobiler Arbeit assoziieren und das wars?
Das ist für mich vielleicht ein kleiner Teil davon, aber wir werden nicht die Zukunft nur mit Homeoffice irgendwie bewältigen können und mir ist auch wichtig, ein Stück weit noch mal ein Blitzlicht darauf zu legen, dass wir die Digitalisierung einfach noch nicht so weit haben, wir sie haben könnten, damit sie wirklich Menschen auch unterstützt.
Das ist etwas, was ich mit der Utopie kritisieren möchte, und auch die Diversität bei uns im Unternehmen, also Stärkande, so heißt meine Utopie, ist von bei von zwei Gründerinnen gegründet worden, Alia und Jessica Stärkande. Das ist ein digitales Unternehmen, was auch wirklich im digitalen Bereich erfolgreich ist und über 1000 Mitarbeitenden hat. Das ist auch etwas, was es so heutzutage auch – noch – nicht gibt, und das finde ich auch sehr schade.
Du hast dir also eine utopische Firma ausgedacht, die quasi alles richtig macht oder es versucht – sich annähert, an eine bessere Art zu arbeiten – und das ist alles gestützt auf Forschungsdaten, die du auch empirisch erhoben hast?
Ja, die Forschung ist tatsächlich im Hintergrund, dass viele der Konzepte, die ich da einpflege, zum Beispiel das Thema Empowerment, auch abgesichert sind durch Forschung. Ob die auch alles richtig machen, weiß ich nicht, ich beschreibe auf jeden Fall den Weg, wie die zu ihrer Zusammenarbeit gekommen sind, vor allem zu diesen Axiomen.
Das sind Arbeitsprinzipien, auf denen diese Organisation basiert und die sind halt organisch über die Zeit gewachsen. Das Spannende ist, glaube ich, dass die zum einen relativ viele bekannte New-Work-Maßnahmen kombinieren, aber auch mal wirklich neue Arbeitsprinzipien, die es heute noch gar nicht gibt, einpflegen lassen in ihre Arbeit.
Das soll auch ein stückweit stimulieren, das soll zum Nachdenken anregen. Ob es das Richtige ist, weiß ich nicht. Ich glaube, das muss jeder für sich auch selbst entscheiden, wenn er das Buch gelesen hat, ob er tatsächlich bei Stärkande arbeiten möchte.
Ich könnte mir vorstellen, dass jetzt gerade viele Firmen darüber nachdenken, wie sie in solche Richtung gehen können und wenn wir mal annehmen, dass ein Unternehmen und vor allem auch dessen Mitarbeitenden sich an diese Utopie annähern möchten. Was für Fallen gibt es denn da, in die man treten könnte? Gibt es auch Nachteile oder Dinge, auf die man vielleicht achten sollte, um ihnen zu entgehen?
Ich glaube, eine ganz wichtige Grundprämisse ist Ehrlichkeit beim Thema New Work. Das vermisse ich auch manchmal so ein bisschen, da auch der Begriff zweckentfremdet wird: Da möchte also jemand eigentlich die Bürofläche um 30% einsparen und auf einmal ist dann Open-Space-Büros ein Teil von New Work. Oder jemand möchte Achtsamkeitskurse als Berater verkaufen, und auf einmal ist Achtsamkeit ein Teil von New Work.
Und ich glaube, das spüren Menschen, wenn man nicht ehrlich mit ihnen ist und ich glaube, das ist ein ganz wichtiger erster Schritt, dass man, wenn man die Arbeit tatsächlich neu gestalten will, dass man auch ehrlich ist mit seinen Zielen als Unternehmen.
Ich glaube, Diagnostik hilft also, dass man sich wirklich zum einen anschaut: Wie sind wir beispielsweise beim Thema Empowerment aufgestellt, man kann das gut messen und sichtbar machen.
Wo haben wir viel Empowerment bei welchen Mitarbeitenden, wo haben wir weniger Empowerment? Ich glaube, das ist etwas, was man sich auch vorher erst mal anschauen sollte, und vor allem sollte man das Unternehmen auch für die Zukunft vorbereiten und nicht für die Vergangenheit.
Das heißt der Blick in die Zukunft: “Okay, was brauchen wir denn für Arbeitsprozesse in zwei, in vier, in fünf Jahren, damit das funktioniert?” Der ist glaube ich, sehr wichtig, dieser Zukunftsblick.
Und das letzte: Ich bin von Hause aus Psychologe und kann da auch nicht anders, komme da nicht aus meiner Haut raus, ich glaube wirklich, dass man die Betroffenen, also die Leute, die das wirklich leben sollen, auch tatsächlich zu Beteiligten machen muss.
Also wirklich die Betroffenen zu Beteiligten macht, dass man wirklich die Menschen einlädt, die auch später dann in den jeweiligen Strukturen zu arbeiten haben, das finde ich was sehr, sehr Wichtiges und ich glaube, man kann das nicht einfach zentral steuern, sondern das wächst organisch, man muss wirklich immer wieder die Menschen dann auch in diese Prozesse involvieren.
Das haben die Stärkanderinnen seit vielen Jahrzehnten getan und deswegen sind die auch so besonders, weil ein Stück weit auch die Organisationsentwicklung bei denen nie aufhört.
Das ist nicht etwas wie: “Ho! Jetzt haben wir die Betriebsvereinbarung zum Thema Homeoffice fertig”, sondern die machen kontinuierlich weiter, die machen ihre Axiome transparent und versuchen auch an sich selbst zu arbeiten und sich weiterzuentwickeln als Unternehmen.
Und das ist etwas, was nicht nur von oben oder von irgendeiner Leitung gestaltet wird, sondern von allen Menschen, und die Menschen sind auch eingeladen, das zu tun.
Klingt super, eine quasi fortführende Schleife der Weiterentwicklung und ständige Involvierung der Mitarbeitenden …
… Sowie auch das menschliche Dasein ja auch lebenslanges Lernen bedeutet und dass man proaktiv sich verändert und verändern kann, ich glaube, das ist auf Unternehmensseite auch wichtig.
Wir gehen ja davon aus, jetzt gerade in deinem Buch, dass das ein fertiges Unternehmen ist. Wenn wir noch mal in die Realität springen und uns überlegen: Wir sind jetzt im aktuellen Job und die Firma ist jetzt nicht so nah dran an dieser Utopie oder ich bin selber auf der Jobsuche. Worauf muss ich denn dann achten, um ein echtes New Work beim Arbeitgeber zu erkennen, so auf den ersten Blick?
Schwierig ne? Also, wenn du mit “man” den Bewerber oder die Bewerberin meinst, dann habe ich natürlich immer nur so ein kleinen Ausschnitt aus dem Organisationssystem, was ich da sehe.
Also ich sehe die Personalabteilung, die entweder lange wartet oder schnell reagiert, wenn ich mich bewerbe, es ist der Auswahlprozess, wo ich einen Einblick bekomme, da macht schon manchmal Sinn hinzuschauen, hinzuhören, ist das ein strukturiertes Verfahren, wird da also wirklich auch professionell strukturiert, dann die Auswahl betrieben oder ist das eher so alles aus dem Bauch heraus?
Vielleicht können das Indikatoren sein, vielleicht auch die Bildsprache oder das, was auch auf der Homepage dargestellt wird, auch beim Thema Diversität, ob das einigermaßen stimmig ist, und glaube, dieses Gefühl: Spricht da immer nur einer, der Boss, oder ist das irgendwie auch schon mal so ein bisschen partizipativer im Auswahlgespräch?
Das sind schon vielleicht so die ersten Indikatoren, aber so richtig spüren, ob in dem Unternehmen auch Empowerment und viele New-Work-Prinzipien gelebt werden, das kann man eigentlich erst, wenn man drin ist und das merkt man dann auf den ersten Tag im Onboarding, wie mit einem umgegangen wird, welche vielleicht auch ungeschriebene Gesetzgebungen es gibt, das bekommt man dann relativ schnell mit.
Ich fand dein Buch ganz gut als Guideline dafür, um mal ein paar Punkte rauszusuchen, worauf man vielleicht achten kann, das ist auf jeden Fall mal einen Blick wert dafür, wenn man sich in dieser Situation befindet und vielleicht auch in einer bestehenden Struktur leichte Impulse geben möchte. Das ist auf jeden Fall eine gute Idee, sich das mal anzuschauen.
So war auch die erste Utopie, glaube ich gedacht, ich glaube Thomas Morus hat auch nicht gedacht: “Jetzt baut man irgendwo diese Insel Utopia nach”, sondern er wollte Impulse geben.
Beispielsweise Religionsfreiheit war eine Idee von ihm oder die Abschaffung der Todesstrafe. Er hatte viele auch wirtschaftliche Ideen, beispielsweise der sechs Stunden Tag, wenn man denn nicht mehr so viel für Fürsten, Mönche, Priester arbeiten muss.
Ich glaube aber nicht, dass er gedacht hat: “und übermorgen gibts die Insel Utopia”, sondern wirklich Impulse setzen, die Leute zum Nachdenken anregen und vor allem die große Frage: “Muss denn das, was heute ist, so sein, wie es ist, oder könnte es vielleicht doch anders werden”?
Und die Idee: Vieles von der Art und Weise, wie wir zusammenarbeiten oder wie wir zusammenleben, ist oft gedankenbasierend.
Und wenn das Gedanken sind, die uns leiten darin, wie wir miteinander umgehen, dann können Gedanken auch verändert werden und können Gedanken dann, die verändert sind, noch dazu führen, dass man vielleicht auch noch mal neue Wege einschlägt und anders miteinander umgeht oder anders zusammenarbeitet.
Eine spezifische Frage zu deinem Fokus, dem psychologischen Empowerment. Der Gegensatz dazu oder ein Pendant ist ja das strukturelle Empowerment. Wo sind da die Unterschiede?
Viele Jahre, vielleicht auch Jahrzehnte, hat man sich sehr stark auf die Strukturen fokussiert und hatte so die Idee: “Okay, wir müssen einfach nur flache Hierarchien einführen und dann ist das Thema Empowerment abgehakt, dann haben wir’s geschafft”.
Das hat aber sehr große Nebenwirkungen, weil wir einfach die Psychologie zu wenig dabei im Blick haben, also: Hierarchien geben auch Sicherheit, Führungskräfte geben Feedback, die koordinieren, die sind die großen Befrieder auch von Konflikten innerhalb von Organisationen.
Die ganzen Führungsaufgaben in der flachen Hierarchie landen dann auf einmal auch bei den Mitarbeitenden mit teilweise sehr unangenehmen Nebenwirkungen, weil man deutlich mehr arbeiten muss, mehr Streitigkeiten entstehen und so weiter. Und während halt die eine Struktur irgendwie zu positiven Ergebnissen bei dem einen Mitarbeitenden führt, ist es bei dem anderen Mitarbeitenden ganz anders.
Da fehlt einfach die psychologische Perspektive und die finde ich wichtig, dass wir uns nicht nur auf die Strukturen fokussieren, sondern vor allem auf die Menschen, die in diesen Strukturen zu arbeiten haben. Und das hat halt der psychologische Empowerment-Ansatz im Fokus.
Man sagt: “Ok, was können wir eigentlich tun, damit sich Menschen psychologisch empowered fühlen, dass sie Sinn in ihrem Beruf erleben, dass Sie sich kompetent in diesem Beruf erleben, dass sie Selbstbestimmung erfahren und dass sie Einfluss und Macht erfahren, und lasst uns wirklich auf diese vier Dimensionen vor allem schauen.
Die können teilweise durch sehr unterschiedliche Strukturen angeregt werden, beispielsweise auch durch gute Führung. Man muss nicht Menschen führungslos lassen, es gibt viele Menschen, die Führung auch angenehm erleben, aber die Art und Weise, wie geführt wird, da sollte man immer mal wieder drüber nachdenken, ob das noch zeitgemäß ist.
Okay also beides, wenn ich es richtig verstanden habe, im Zusammenspiel.
Ja, sehr gut zusammenfasst, beides im Zusammenspiel und bitte den Blick auf die Psychologie nicht vergessen daran.
Wunderbar, ja, das ist auf jeden Fall ein guter Hinweis, weil wir wollen auch nicht vergessen, dass du auch hier bist, um uns einen Einblick in dein Buch zu gewähren. Wir haben uns mal ein Kapitel rausgesucht, dass du vielleicht uns vorlesen magst.
Genau es ist tatsächlich meine erste Lesung, die ich zu diesem Buch habe, und Sachbücher werden ja gar nicht so häufig vorgelesen. Ich probier's trotzdem mal aus, und vielleicht ist das Buch auch so ein bisschen ein Unternehmensroman, es tauchen auch Menschen auf, die Gründerinnen oder auch der Rafael, das ist ein Archont, das heißt der Personalverantwortliche, der für Personal und Empowerment zuständig ist.
Vielleicht klappt es doch, dass auch das Vorlesen funktioniert. Wichtig bei den komischen Begriffen, die manchmal vorkommen, ich versuch die ein bisschen zu erläutern, aber viele sind auch ein bisschen an Thomas Morus angelehnt, ich habe also wirklich auch Figuren und Begriffe aus der Ursprungs-Utopia mitgenommen um auch so ein bisschen eine kleine Linie herzustellen.
Die Auswahl fällt schwer, es sind insgesamt 22 Axiome, deswegen habe ich überlegt, ich fange einfach mal vorne an, das machts vielleicht einfacher.
Ich führe in dem Buch erst mal ein, erkläre, was eine Utopie ist, beschreibe aber auch, wie das Unternehmen funktioniert und vor allem, welche Produkte die haben.
Und dann stelle ich diese 22 Axiome vor, und ich würde gerne jetzt mal das erste Axiom vorstellen, das heißt:
Drei Kapitel aus "New Work Utopia"
Axiom Nr. 1: New Work dient Stärkande – nicht Stärkande New Work
Dieses Axiom habe ich an die erste Stelle gesetzt. Ist es deshalb das wichtigste? Vielleicht. Es scheint mir die Grundlage dafür, dass sich New Work bei Stärkande so erfolgreich und nachhaltig etablieren konnte. Und es könnte die Ursache dafür sein, dass der Begriff New Work seit 15 Jahren positive Assoziationen in der Mitarbeiterschaft produziert.
Denn das ist ja tatsächlich nicht die Regel, also in vielen Unternehmen ist das auch ein Begriff, der mittlerweile gar nicht mehr so positiv wahrgenommen wird, New Work, sondern wo man irgendwie auch das Gefühl hat: “Oh Gott, jetzt kommt New Work, jetzt müssen wir uns wieder verändern”.
Die Stärkander:innen machen sich viele Gedanken darüber, wie sich ihre Zusammenarbeit organisieren lässt. Das kann ich aus meiner Arbeit als wissenschaftlicher Beirat bestätigen.
Doch betrachten sie die Organisation von Arbeit nicht als Selbstzweck. Arbeit wird nicht so organisiert, dass sie irgendeiner Ideologie gerecht wird. New Work wird nicht so praktiziert, dass sie einem Trend entspricht, den irgendeine New-Work-Berater:in in einer Zoom-Konferenz aufgeschnappt hat.
Arbeit wird bei Stärkande so gestaltet, dass sie zum wirtschaftlichen Erfolg von Stärkande beiträgt und den Mitarbeitenden ein gutes Leben ermöglicht.
Und die Arbeitsorganisation darf der Arbeit kein Bein stellen. Spotify, Zappos, Partake... was für hochkomplexe Organisationssysteme haben sich Unternehmen gemeinsam mit hochbezahlten Organisationsberater:innen erdacht.
Doch ist die Zusammenarbeit so komplex in diesen Unternehmen, dass kaum noch Zeit für die Produktion und die Produktentwicklung übrig bleibt. Das System überfordert das System. Das System überfordert die Menschen.
Nicht so bei Stärkande. Hier müssen der Arbeitsalltag und das soziale System verständlich sein.
Deswegen gilt bei Stärkande folgende Regel: Kann ein New-Work-Element einem neuen Mitarbeitenden nicht innerhalb kurzer Zeit so erklärt werden, dass er oder sie es versteht, dann muss es überarbeitet oder verworfen werden.
Die Mitarbeitenden sollen durch New Work entlastet und nicht belastet werden. New Work muss den Stärkander:innen dienen und nicht die Stärkander:innen New Work. Und das gilt fortwährend.
Axiom Nr. 4: Gutes Leben statt guter Arbeit
»Gute Arbeit« ist schwer in Mode. »Gute Arbeit« ist das Leitbild für eine Initiative ver- schiedener deutscher Gewerkschaften.
Der DGB hat dafür einen Index entwickelt, gute Arbeit steht im Grundsatzprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Gute Arbeit ist auch Teil des Titels meines New-Work-Buches, das mittlerweile in der dritten Auflage gelesen wird.
Deshalb war ich schockiert, als ich von den Stärkander:innen für den Titel kritisiert wurde. Besonders Raphael schonte mich nicht.
Er meinte, dass gute Arbeit zu kurz gedacht und konzipiert sei. Menschen hätten nicht zwei getrennte Leben. Arbeit und das Leben außerhalb der Arbeit wären eng miteinander verwoben.
Stärkande betreibe nicht den Aufwand für psychologisches Empowerment, sodass daraus einfach nur gute Arbeit resultiere. Die Ziele, die mit Empowerment und anderen Initiativen erreicht werden sollen, seien bei Stärkande größer und nachhaltiger.
Gute Arbeit sei lediglich ein Mittel und ein Zweck. Stärkande wolle, dass die Stärkander:innen gut leben können.
Denn genau das sei doch das Problem in vielen Unternehmen, meinte er: »Menschen ruinieren ihre Gesundheit für ihren Job und verlieren darüber hinaus wertvolle Lebenszeit. Sie hoffen auf ein Leben im Urlaub und in der Rente. Doch Gevatter Tod agiert ohne Rücksicht auf solche Pläne.«
Und dann zeigte er mir ein Zitat aus einem Artikel von Otti Vogt und Antoinette Weibel, was ein gutes Leben sei. Die Autorinnen bezogen sich dabei auf Aristoteles und dessen Gedanken zur Potenzialentfaltung und Eudämonie – Glückseligkeit. Glückseligkeit als letztendliches Ziel der menschlichen Existenz:
»Ein gutes Leben heißt, nach Exzellenz zu streben: gesund zu sein, die eigenen geistigen und charakterlichen Qualitäten zu kultivieren, Freundschaften zu pflegen und sich innerhalb der Gesellschaft zu verwirklichen.«
Und so strebe Stärkande danach, Menschen ein gesundes und würdevolles Leben zu ermöglichen. Die Stärkander:innen sollten wachsen und schöpferisch tätig sein. Wachsen und Schöpfen in einer Gemeinschaft, die ihnen eine sichere Heimat ist.
Doch nicht nur die Menschen, die für Stärkande arbeiten, sollten möglichst in einem Zustand der Eudämonie leben. Der ganze Organismus Stärkande, die ganze Gemeinschaft solle Eudämonie anstreben und erreichen.
Die Kritik der Stärkander:innen an meinem Buchtitel traf mich. Ich finde das Axiom und die Werte, die es repräsentiert, grundsätzlich gut. Aber gleichzeitig ist mir das zu viel.
»Stärkande will Quelle und Leuchtturm für ein gutes Leben sein«, meinte Alia einmal. Alia ist eine der Gründerinnen. Mir ist das zu übergriffig. Ich finde es in Ordnung, wenn man »nur« arbeitet und nicht gleich das ganze Leben betroffen ist.
Sonst wird in meinen Augen zu viel Druck ausgeübt: Zu viel Druck auf die Organisation, die das gute Leben zu ermöglichen hat, aber auch zu viel Druck auf die Individuen, die durch Stärkande ein gutes Leben haben sollen.
Ich will nicht zu meinem Glück gezwungen werden. Ich bin für die Freiheit und das Empowerment, auch unglücklich sein zu dürfen. Hier lagen wir bis zuletzt auseinander. Dennoch gehört das Axiom berichtet, denn es ist ein wichtiger Teil von Stärkande.
Das gehört also auch zu einer Utopie dazu, das macht auch der liebe Thomas Moris, dass man die Utopie auch kritisieren darf ud das man vielleicht auch als Utopist eine andere Meinung gegenüber der Utopie haben darf.
Werte, die mit der Arbeit von Stärkande unvereinbar sind: Defensivität, Aggressivität und Diskriminierung (DEAD-Werte)
Bei Stärkande wird nicht nur explizit formuliert, welche Werte begrüßt und gelebt werden, sondern auch, welche abgelehnt und vermieden werden sollen.
Für die Stärkanderinnen sind das die sogenannten »DEAD-Werte«.
Jeder kennt sie, sie be- deuten den Tod für Empowerment und Innovationen. Sterben Empowerment und Innovationsfähigkeit von Stärkande, dann erlischt auch Stärkande.
Niemals dürfen deswegen die DEAD-Werte die Kultur von Stärkande bestimmen.
Das Akronym DEAD steht für die folgenden drei Wertebereiche: Defensivität, Aggressivität und Diskriminierung. Schauen wir uns die drei der Reihe nach an.
Defensivität
In Unternehmen mit defensiven Kulturen hört man häufig in Gesprächen zwischen den Mitarbeitenden folgende Sätze:
»Das muss der Chef entscheiden.«
»Was sagt der Justitiar dazu?«
»Das geht so nicht.«
Menschen, die in defensiven Kulturen arbeiten, haben das Gefühl, dass sie sich ständig absichern müssen, bevor sie mit der Arbeit beginnen.
Die Chefin muss gefragt werden, bevor gehandelt wird. Proaktivität und Eigeninitiative sind Fremdwörter und sogar gefährlich in defensiven Kulturen. Die Mitarbeitenden fühlen sich abhängig und versuchen, den Konventionen zu entsprechen.
Wer bei einem neuen Projekt am meisten Bedenken benennt, ist die Heldin des Tages. Gern wird etwa auf die DSGVO oder andere übergeordnete Regelwerke verwiesen, damit alles so bleibt, wie es ist.
Häufig wird auch eine neue Arbeitsgruppe gebildet, anstatt eine Entscheidung zu treffen und Verantwortung zu übernehmen – die Herausforderung wird mit einer Arbeitsgruppe in die Zukunft delegiert.
Oder Verantwortung wird in die Hierarchie oder an Kolleginnen abgegeben. Hauptsache, man ist nicht verantwortlich, braucht also keine Antworten zu produzieren, die gegebenenfalls falsch sein könnten.
Denn das ist der Kern der defensiven Kultur: Die Menschen in defensiven Kulturen haben Angst und müssen Angst haben, und zwar am meisten davor, Fehler zu machen.
Eine solche Kultur, die von Angst bestimmt wird und zur Defensivität führt, wird von den Stärkander:innen abgelehnt.
Vielleicht ist das eine der großen Errungenschaften von Stärkande: Die Verwirklichung eines Unternehmens, das morgens ohne Angst betreten und abends ohne Furcht verlassen werden kann.
Denn keine Angst haben zu müssen, ist ein wichtiger Grundstoff eines guten Lebens.
Aggressivität
Abgelehnt wird bei Stärkande auch eine Kultur, die von aggressiven Werten geprägt ist. In diesen Kulturen hört man häufiger Sätze wie:
»Wir stellen nur Gewinner ein.«
»Work hard, play hard.«
»We’re customer obsessed.«
Ja, in solchen Unternehmen sollen die Menschen besessen von ihren Kundinnen sein (ich persönlich habe meistens Angst, wenn ich auf besessene Kundinnenberater treffe).
Die Mitarbeitenden sind solchen Unternehmen relativ egal; Hauptsache die Kundin ist Königin. Bei Stärkande stehen aber nicht die Kundinnen im Mittelpunkt, sondern die Mitarbeitenden und ihr psychologisches Empowerment.
Diejenigen stehen im Mittelpunkt, die für die Kundinnen arbeiten. In aggressiven Kulturen muss miteinander gerungen werden; der Wettbewerb ist zentral. Nur Gewinnerinnen werden eingestellt, die aber fast ausnahmslos zu Verliererinnen werden, da ja nur eine gewinnen kann.
Nur eine Mitarbeiterin des Monats, nur eine wird auf der Weihnachtsfeier zur Key-Account-Managerin oder Beraterin des Jahres gewählt. Eine ist Heldin, alle anderen sind Versagerinnen.
Jede Kollegin wird dadurch als Rivalin wahrgenommen; eine Konkurrentin um Ressourcen, Status und Kundinnen. Eine Kundin gehört der Seniorberaterin und darf nicht geteilt werden, denn sonst müsste man auch den Umsatz teilen, den man mit der Kundin verdient.
Statt Win-Win- werden immerzu Win-Lose-Situationen entdeckt. Mein Verlust ist der Gewinn meiner Konkurrentin. Rache, also die Vergeltung von vergangenem Unrecht, ist ein bestimmendes Motiv in aggressiven Kulturen.
In aggressiven Kulturen existieren kleine, manchmal aber auch große Fürstentümer und Grafschaften, über die eifersüchtig geherrscht wird. In aggressiven Kulturen ist es nicht wichtig, seine Mitarbeitenden zu empowern, sondern bloß selbst mächtig zu werden.
Denn Macht bedeutet Einfluss, Macht bedeutet Zugang zu wichtigen Ressourcen. Mächtige leben in aggressiven Kulturen viel angenehmer als die Ohnmächtigen.
Deswegen ist es auch wichtig, dass man nicht zu viele Kolleginnen mächtig und kompetent werden lässt, denn sonst müsste man teilen und es bliebe weniger vom Kuchen für einen selbst und die persönlichen »Lakaien« übrig.
Menschen zu empowern, wird in aggressiven Kulturen als gefährlich bewertet. Denn die empowerten Menschen könnten zu mächtig werden und die eigene Zukunft gefährden.
Die Lakaien (zum Beispiel Juniorberaterinnen) hängen sich an eine mächtige Person (zum Beispiel eine Seniorberaterin) und hoffen, dass sie persönlich von der Karriere ihrer Vorgesetzten profitieren können.
In aggressiven Kulturen wird nicht aus eigener Kraft Karriere gemacht, sondern durch ein mächtiges Netzwerk. Aggressive Kulturen sind immer politisch.
In einem Motiv ähneln sich aggressive und defensive Kulturen. In beiden dürfen die Mitarbeitenden keine Fehler begehen, sie werden deshalb streng kontrolliert und die Führungskraft ist bei Fehlern sofort zur Stelle.
Deshalb ist es in aggressiven Kulturen unumgänglich, Fehler sofort zu vertuschen, denn sie bedeuten Schwäche und Statusverlust.
Auch in aggressiven Kulturen ist Angst das beherrschende Motiv: Angst ist die wahre CEO, die die Menschen zu ihrem Verhalten motiviert. Und diese Angst wird aggressiv durch Wettbewerb und vermeintliche Stärke kompensiert.
Stärkander:innen verachten die Verhaltensweisen und Werte, die eine aggressive Kultur ausmacht. Vor allem im Bereich der Organisationsberatung werden Mitarbeitende streng geprüft, ob sie solche Einstellungen in das Unternehmen tragen könnten.
Ein jährlicher Prüfstein für die Stärkander:innen, wie es um die Aggressivität ihrer Kultur bestellt ist, ist der Innovations-Award – schließlich hat er einen kompetitiven Charakter, nur fünf Teams erhalten einen Gewinn.
Wie die Stärkander:innen hier miteinander umgehen, zeigt ihnen, wie aggressiv sie sind. Werden Informationen und Innovationsideen zurückgehalten, um sich eine bessere Position zu erarbeiten? Werden die anderen Kreise als Gegnerinnen oder als Kooperationspartnerinnen wahrgenommen?
Die Stärkanderinnen lernen in diesem Prozess jedes Jahr viel über sich. Jeder Innovations-Award ist eine harte Prüfung für die Stärkander:innen und ihre Kultur.
Diskriminierung
Der letzte DEAD-Wert, der bei Stärkande abgelehnt und verachtet wird, das ist die Diskriminierung. Sie versagt Menschen die Gleichheit der Behandlung, die sie sich wünschen, und ist unabhängig von den Fähigkeiten der jeweiligen Menschen.
Sie werden allein aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Menschen nachteilig behandelt: Frauen werden seltener befördert, weil sie Frauen sind. Ältere werden nicht in ein Scrum-Team eingeladen, weil sie als weniger agil gelten. Jüngere werden nicht als Führungskraft in Betracht gezogen, weil sie jung sind. Eine Schlosserin wird von verantwortungsvollen Positionen ausgeschlossen, weil sie Handwerkerin ist.
All das soll es bei Stärkande nicht geben. Das bedeutet nicht, dass alle Menschen bei Stärkande gleich sind. Sie werden aber gleich behandelt, wenn sie über dieselben Kompetenzen verfügen und dies wünschen.
Was heißt das konkret? Die Stärkander:innen betreiben objektive, zuverlässige und valide Kompetenzdiagnostik. Das ist ein wichtiger Baustein erfolgreichen Diversity-Managements.
Beförderungsprozesse werden von einer externen und objektiven Personalberatung begleitet. Neue Kolleginnen werden von diversen Teams ausgewählt. Wenn klar ist, wer welche Kompetenzen besitzt, werden Kreise möglichst divers zusammengesetzt, damit die Kreativität stimuliert werden kann.
Bei Stärkande gibt es keine symbolische Gleichbehandlung. Ein älterer Mitarbeitender wird nicht extra in ein Scrum-Team geholt, weil er alt ist, und eine Frau wird nicht symbolisch zur Phylarchin befördert, weil sie eine Frau ist.
Viel zu groß wäre die Gefahr, dass durch symbolisches Handeln grundsätzliche Diskriminierungstendenzen erhalten bleiben würden. Stärkander:innen wissen, welche positive Effekte Diversität beispielsweise auf kreative Prozesse haben kann.
Auch ist ihnen bekannt, dass es manchmal Nachfragen, Geduld und Abstimmung braucht, um unterschiedliche Perspektiven verstehen und nutzen zu können.
Halten wir also insgesamt fest, dass die Stärkander:innen nicht nur Werte haben, die sie anstreben und fördern möchten. Zusätzlich gehört es zur Kultur von Stärkande, dass abgelehnte Werte explizit gemacht werden.
Die Stärkander:innen machen sich bewusst, welche Kultur sie möchten und welche sie verschmähen. Mich hat diese Klarheit der Stärkander:innen immer fasziniert.